Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Der Friedensnobelpreis 2019 aus ethnologischer Perspektive

5. November 2019

#kurze Bildbeschreibung

Der Omo-Fluss in Äthiopien.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Äthiopiens Premierminister Dr. Abiy Ahmed geht einher mit der Aufforderung, bei aktuellen Gewalttaten gegen die ethnischen Minderheiten Äthiopiens einzugreifen.

Ein Wissenschaftlerteam bestehend aus Felix Girke von der Universität Konstanz und Jed Stevenson von der Durham University setzt sich in einem Artikel in der britischen Tageszeitung "The Guardian" mit der Entscheidung, den Friedensnobelpreis in diesem Jahr an den äthiopischen Premierminister zu vergeben, auseinander. Dr. Girke ist Ethnologe und habilitiert an der Universität Konstanz. Zudem war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster "Kulturelle Grundlagen von Integration". Seine Forschung über Äthiopien und Myanmar, insbesondere das Forschungsprojekt „Heritageization in Myanmar. Eine ethnologische Studie zu Identifikation und Kulturerbe“, wurde vom Cluster gefördert. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Edward (Jed) Stevenson, Assistant Professor of Anthropology an der Durham University in Großbritannien, erörtet Felix Girke in dem am 21. Oktober erschienenen Artikel, wie die Verleihung des Friedensnobelpreises an Dr. Abiy Ahmed aus ethnologischer Perspektive zu bewerten ist.

"Fast im Alleingang schien Dr. Abiy die Zuversicht der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen wieder herzustellen. Nicht nur in Addis Abeba, sondern auch in Provinzstädten, an Verwaltungsposten und an Truck-Stops im ganzen Land wurden Poster und T-Shirts mit seinem Abbild zur Schau gestellt, oft verbunden mit dem amharischen Ausdruck andinet, Einheit. Nach einem Attentatsversuch gegen ihn im Juni 2018 beeindruckte er die Öffentlichkeit mit Aufrufen zur Versöhnung und Brüderlichkeit", schreiben Girke und Stevenson zur Überzeugungskraft des Premierministers, der neben der Wiederaufnahme der politischen Beziehungen zum Nachbarland Eritrea auch bei internen Konflikten Erfolge erzielen konnte.

Kritisch wird dann im Artikel dargelegt, wie ethnische Minderheiten in Äthiopien auch von Regierungskräften weiterhin systematisch verdrängt und misshandelt werden: "Die 'Abiy-Manie' wurde jedoch bald von neuen Konflikten erschüttert. Das System des ethnischen Föderalismus war einst als Weg ersonnen worden, das vielgestaltige Bündnis von Gruppen, die gegen das Regime von Mengistu Haile-Mariam gekämpft hatten, zu einen. Es hatte die gegenseitige Annäherung von Menschen gefördert, jedoch nicht ohne Kosten: Diejenigen, die sich auf der falschen Seite einer ethnisch definierten Grenze wiederfanden, wie die Gedeo in Oromia, wurden von einer neuen Welle an Gewalt heimgesucht. Die daraus resultierenden Konflikte führten zu mehr Binnenflüchtlingen in Äthiopien als in jedem anderen Land."

Girke und Stevenson sehen die Verleihung des Friedensnobelpreises an Dr. Abiy Ahmed daher als klare Aufforderung, "noch energischer für Frieden und Gerechtigkeit zu streiten" und stärker gegen die ungerechte Behandlung und Gewalt gegenüber ethnischen Minderheiten Äthiopiens vorzugehen.